Hochbegabung erkennen und Kinder richtig fördern

Tipps für Eltern
Anne Kunert
August 28, 2023

„Kein Wissenschaftler hat jemals gesagt: ‚Jedes hochbegabte Kind muss Höchstleister sein.‘ “ Dies sei eine der ersten Sätze, die die Begabungspsychologische Beraterin Claudia Völkening Eltern und Lehrkräften hochbegabter Grundschulkinder mit auf den Weg gebe. Das könne einen Teil des Drucks nehmen, schließlich habe man bei dem Begriff „Hochbegabung“ ein bestimmtes Bild im Kopf. Vielleicht denken auch Sie an Jugendliche, die ein Studium abschließen, wenn ihre Altersgenossen noch die Schulbank drücken, oder Grundschulkinder, die erwachsenen professionellen Pianist:innen wie Anfänger aussehen lassen? In einem Interview, das die Lerntherapeutin Dr. Dina Beneken mit Claudia Völkening führt, sind sich die beiden einig darüber, dass Hochbegabung ganz verschieden aussehen kann und als Chance oder Möglichkeit begriffen werden sollte, statt als festgefahrener Maßstab.  

Was ist Hochbegabung?

Nach den eigenen Begabungen zu suchen ist den meisten von uns vermutlich vertraut. Man möchte etwas besonders gut können, vielleicht sogar besser als alle anderen. Egal ob Gesang oder Mathematik, wir wollen etwas finden, was uns auszeichnet, uns von den andere abhebt und uns nicht nur Spaß macht, sondern auch die Menschen um uns herum in Staunen versetzt. Klar ist auch: Eine Begabung allein reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein. Nur durch Übung und Förderung kann eine begabte Person ihr volles Potenzial ausschöpfen. Bei einer Hochbegabung gelten ähnliche Regeln. Man bezeichnet eine Person als hochbegabt, wenn sie einen IQ von über 130 aufweist. Dies kann von psychologischen Fachkräften in einem IQ-Test nachgewiesen werden. An der Methode wird kritisiert, dass sie im Vorschulalter schwer durchführbar ist und nicht immer alle Bereiche der Persönlichkeitsausprägung abdecken kann. Entscheidend ist, dass bei hochbegabten Kindern das kognitive Alter über dem biologischen Alter liegt. Ein sechsjähriges Kind könnte also bereits die kognitive Leistung eines neunjährigen Kindes erbringen. Leider ist es von außen nicht einfach herauszufinden, welches kognitive Alter eine Person aufweist. Wie kann man also ein hochbegabtes Kind als solches erkennen? 

Wie erkennt man Hochbegabung?

Die Schulen in Deutschland sind, bis auf wenige Ausnahmen, nicht für hochbegabte Kinder konzipiert. Häufig wird deshalb angenommen, dass die Lehrpläne und damit auch der normale Unterricht hochbegabte Kinder langweilen und unterfordern. Das muss aber nicht heißen, dass diese Schüler:innen während der Schulstunde Däumchen drehen und trotzdem als Klassenbeste abschneiden. Vielmehr kann es passieren, dass ein hochbegabtes Kind entweder versucht, sich anzupassen und die eigene „Andersartigkeit“ zu verstecken, oder den Unterricht mit der Suche nach spannenderen Themen stört. Die Schulleistungen könnten durchschnittlich oder sogar unterdurchschnittlich sein. Die Anzahl der sogenannten „Underachiever“, also Schüler:innen, die trotz eines überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten maximal durchschnittliche Leistungen in der Schule erzielen, liegt schätzungsweise bei 12% der Hochbegabten.

Durch das höhere kognitive Alter haben hochbegabte Kinder oft Schwierigkeiten, sich mit Gleichaltrigen anzufreunden und orientieren sich eher an älteren Personen. Typisch ist ein Überspringen von Entwicklungsphasen, was bereits im Kleinkindalter beobachtet werden kann. Aufgrund der so mangelnden sozialen Komponente und der Langweile stellt die Schule für Kinder mit einer Hochbegabung nicht unbedingt einen angenehmen Aufenthaltsort dar und es wird versucht, den Besuch dieser Einrichtung zu vermeiden. Beim Lösen der Hausaufgaben fällt auf, dass sehr schwierige Aufgaben gut und mit viel Motivation gemeistert werden können, während scheinbar einfache Aufgaben eine große Hürde darstellen und viel Zeit und Geduld erfordern. Auch andere Eigenschaften, wie die hohe Diskussionsbereitschaft und das geringe Schlafbedürfnis, werden von der Außenwelt oft als störend wahrgenommen. Man unterstellt dem Kind leicht eine mangelnde Sozialkompetenz und bezeichnet es als anstrengend, nicht zuletzt, weil der anhaltende Wissensdurst zu bestimmten Themen vom sozialen Umfeld oft nicht ausreichend gestillt werden kann und die zahlreichen Fragen überfordern können. Zusammenfassend können folgende Fragen bei dem Erkennen einer Hochbegabung helfen:

  • Weist Ihr Kind eine Entwicklungsvorsprung gegenüber gleichaltrigen Kindern auf? Stellt es beispielsweise Fragen oder interessiert sich für Themen, die nicht als altersgerecht eingestuft werden?
  • Freundet sich Ihr Kind eher mit älteren MitschülerInnen an? Fühlt es sich von Gleichaltrigen oft missverstanden oder hat den Eindruck, dass diese langweilig seien?
  • Fällt es Ihrem Kind in einem oder mehreren Schulfächern leicht, schwierige Aufgaben zu lösen, obwohl es bei leichten Aufgaben aus demselben Gebiet Schwierigkeiten hat?
  • Fragt Ihr Kind auffällig oft nach Hintergründen und Details, auch, wenn diese es nicht persönlich betreffen (im Gegensatz zu der Frage: „Warum muss ich jetzt schon ins Bett?“)?
  • Reagiert Ihr Kind sensibel auf Umweltreize und kämpft möglicherweise häufig mit Bauchschmerzen, Kopfschmerzen oder Übelkeit?
  • Hatte Ihr Kind schon früh einen großen Wortschatz und ein gutes Gedächtnis? Hat es sich im Kindergartenalter vielleicht Lesen, Schreiben oder Rechnen selbst beigebracht oder versucht, diese Fähigkeiten zu lernen?

Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind eine überdurchschnittliche Intelligenz aufweisen könnte, dann ist ein Besuch bei einer psychologischen Fachkraft ratsam. Diese kann nicht nur einen professionellen IQ-Test durchführen, sondern Ihre Familie auch auf ihrem Weg mit einem hochbegabten Kind unterstützen. Für Eltern ist der Umgang mit der Hochbegabung oft nicht leicht. Zu den vorhandenen Hürden und Stolpersteinen durch das Verhalten des Kindes kommen Kommentare und Einschätzungen aus dem sozialen Umfeld, wie beispielsweise die Unterstellung, die Eltern hätten dem Kind die Hochbegabung „antrainiert“ oder wollten ihren Sprössling nur ins Rampenlicht rücken. Sich den Rücken stärken zu lassen, ob im Rahmen einer therapeutischen Sitzung oder in einer Selbsthilfegruppe für Eltern hochbegabter Kinder, kann hier nicht nur entlastend wirken, sondern sogar notwendig sein. Für die Förderung und Unterstützung eines hochbegabten Kindes ist es wichtig, dass sich auch die Eltern auf ein soziales Netz verlassen können und die besonderen Herausforderungen nicht allein meistern müssen.    

Wie können hochbegabte Kinder unterstützt werden?

Ist die Hochbegabung einmal erkannt, stellt sich schnell die Frage: Und jetzt? Sicher hilft es bereits, einen Grund für das andersartige Verhalten des Kindes zu kennen. Es erleichtert das Verständnis für die vielen Fragen, den Diskussionsbedarf oder den Wissensdurst, zumindest bei all denen, die über den hohen IQ informiert sind. Wichtig ist in erster Linie, Unterstützung zu suchen und sich ausreichend zu informieren.

Hier können ausgebildete Fachkräfte, aber auch Internetseiten wie das Fachportal Hochbegabung (https://www.fachportal-hochbegabung.de) oder die Initiative Hochbegabung (https://initiative-hochbegabung.de) helfen. Achten Sie bitte darauf, dass die Seiten seriös sind. Vor allem bei YouTube gibt es Videos, die den Anschein erwecken, man könne ein Kind mithilfe von nur drei Fragen auf eine Hochbegabung testen oder ähnlich dubiose und wissenschaftlich fragliche Ideen.

Ein möglicher und ratsamer nächster Schritt ist es, die Lehrkräfte zu informieren und gemeinsam nach Möglichkeiten zu suchen, das Kind innerhalb der Schule zu unterstützen. Zum einen kann der Regelunterricht „angereichert“ werden, beispielsweise durch Zusatzaufgaben oder eine kompliziertere Aufgabenstellung (Enrichment), zum anderen stellt sich vielleicht das Überspringen einer gesamten Klassenstufe oder eines einzelnen Faches als hilfreich heraus (Akzeleration). Wissenslücken, die durch Unterforderung entstanden sein könnten, sollten durch gezielte Nachhilfe aufgeholt werden, denn auch für hochbegabte Kinder ist eine umfangreiche Allgemeinbildung wichtig und notwendig, um den Anschluss in der Schule nicht zu verpassen.

Einige Privatschulen in Deutschland sind auf die Förderung hochbegabter Schüler:innen spezialisiert und stellen damit ebenfalls einen möglichen Weg dar. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl von Angeboten, mit denen Eltern ihre Kinder außerhalb der Schule unterstützen können. Hier liegt der Fokus vor allem auf der Förderung von Interessen. Das kann im Alltag beginnen, zum Beispiel durch eine Mitgliedschaft in einer gut ausgestatteten Bibliothek oder dem Besuch von Museen oder Veranstaltungen, die sich an den „Spezialgebieten“ des Kindes orientieren. Interessant sind auch Angebote wie Kinderuniversitäten, Wettbewerbe oder ein Frühstudium, da sie nicht nur die Neugier der SchülerInnen befriedigen können, sondern ihnen auch ermöglichen, mit anderen hochbegabten Kindern in Kontakt zu kommen und so der sozialen Isolation, die so oft im Schulalltag und unter Gleichaltrigen erlebt wird, entgegenzuwirken. Zudem sind die BetreuerInnen und Mitarbeiter:innen solcher Angebote meist mit den besonderen Bedürfnissen, die eine Hochbegabung mit sich bringt, vertraut und verfügen über das nötige Feingefühl und Verständnis, um den Teilnehmenden eine tolle Zeit zu ermöglichen.

Ob hochbegabt oder nicht: Jedes Kind hat Talente, Interessen und Fähigkeiten. Es ist wichtig, diese zu fördern, aber dabei nicht zu vergessen, dass Menschen mehr sind, als ihre Leistung und ihr IQ. Auch Hochbegabung kann und sollte als Chance gesehen und als solche genutzt werden. Möglichkeiten dafür gibt es viele und es ist, ganz sicher, für jedes Kind etwas passendes dabei.

Anne Kunert
Tutor

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*Der 14-tägige Test umfasst eine gratis Probestunde

(**Quelle: Trustpilot, Stand: 20.02.2023)